HAUSFÜHRUNG #5, März 2024
Rundgang
BRÜCHE – Künstler:innen im Berliner Exil:
Erinnerung als künstlerischer Ausdruck im Haus Kunst Mitte
Für die fünfte Ausgabe unserer Reihe HAUSFÜHRUNGEN widmet sich das Haus Kunst Mitte in einem dreiteiligen Format der Ausstellung „BRÜCHE – Künstlerinnen und Künstler im Berliner Exil“, die Anfang 2024 zu sehen war. Die Ausstellung zeigte Werke von 15 Künstlerinnen und Künstlern aus Afghanistan, China, dem Iran, Syrien und der Ukraine, die sich mit verschiedenen Aspekten der Exilerfahrung auseinandersetzen. Die beteiligten Kunstschaffenden befanden sich jeweils an unterschiedlichen Punkten ihrer Biografie und haben unterschiedliche Wege des Exils durchlebt.
Fast alle präsentierten Werke thematisierten zentrale Etappen dieser Erfahrung. Sie reichten von Hoffnungslosigkeit, Angst und Wut bis hin zu neu geschöpfter Hoffnung, Mut und Flucht. Weitere Themen waren das Ankommen, Einleben, Erinnern und die Sehnsucht sowie die künstlerische Auseinandersetzung mit dem neuen Lebensraum Berlin. Der künstlerische Ausdruck diente dabei nicht nur der Verarbeitung von Traumata, sondern auch als kritischer Dialog mit der neuen Realität im Exil.
Hiba Alansari, لحالحاف / Decke, 2017, Stoff, Schafwolle © Michael Lüder
Hiba Alansari fand eine eindrucksvolle visuelle Form für die Darstellung von Zerstörung, Gewalt und Angst. In der Ausstellung zeigte sie eine Decke, deren Farben an einen lichten Sommerhimmel erinnerten. Beim genaueren Hinsehen entpuppten sich die weich hervorquellenden Füllungen jedoch als Abbildungen von Bombenexplosionen. Die gesteppten Nähte zeichneten die Infrastruktur einer zerstörten syrischen Stadt nach. Aus einem Objekt, das üblicherweise Schutz und Wärme bietet, wurde so ein Symbol für menschengemachte Gewalt und die Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen.
Tammam Azzam, Serie: Stockwerke, 2016, Acryl auf Leinwand; Ohne Titel, 2021, Papier Collage auf Leinwand, Courtesy of the artist & Kornfeld Galerie Berlin © Michael Lüder
Auch Tammam Azzam setzte sich in seiner Arbeit mit den Themen Gewalt und Verlust auseinander. Seine Werke dokumentierten den inneren Dialog zwischen seinen Erinnerungen, seinem Alltag und dem ihn umgebenden Leben. Als Zeuge von Zerstörung und Leid isolierte sich Azzam in seinem Studio, um seiner Wut künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Für ihn ist es nicht die Zerstörung allein, die ihn inspiriert. Vielmehr ist Zerstörung ein Teil des Lebens selbst, der in seiner Kunst sichtbar gemacht wird.
Nikolay Karabinovych, Ici et ailleurs / Hier und anderswo, 2023, 4K Video, Courtesy of the artist © Michael Lüder
Ein weiterer beeindruckender Beitrag kam von Nikolay Karabinovych, der in einem Film aus dem Jahr 2023 seine Mutter porträtierte. Die talentierte Organistin ist allein in einer unbewohnten, endlos erscheinenden Berglandschaft zu sehen. Sie spielt aus der Erinnerung – ohne ein tatsächliches Instrument – das Konzert in g-Moll für Orgel, Streicher und Pauke von Francis Poulenc aus dem Jahr 1938. Die fast geräuschlose Inszenierung macht die Abwesenheit von Musik zur lauten Anklage. Die Stille wird zum Sinnbild für Einsamkeit und Trauer. Ihr Leben vor der russischen Invasion existiert nur noch in der Erinnerung und ist in weite Ferne gerückt.
Nikita Khudiakov, Wärme, 2022, Videokunst, Geprägt als NFT in 3 Editionen, Courtesy of the artist © Michael Lüder
Nikita Khudiakov erforschte gemeinsam mit den Künstlern Dmytro Dokunov und Sergey Melnitchenko neue Formen der Nähe in Zeiten physischer Trennung. In ihren Videokunstprojekten untersuchten sie Möglichkeiten, ein intimes digitales Kunstwerk zu erschaffen, das als Verlängerung des körperlichen Erlebens funktioniert. In Zeiten von Krieg, Flucht oder globalen Pandemien, in denen menschliche Nähe nur noch über Videoschalten erfahrbar ist, wird körperliche Berührung zum Erinnerungsbild. Ihre Werke hinterfragen, wie emotionale Intimität und Zugehörigkeit unter Bedingungen der Entfremdung erhalten werden können.